Samstag, 14. März 2020 / 04:51
Der letzte gemeinsame Tanz wird lange in Erinnerung bleiben. Die Techno-Legende "Dr. Motte" gibt auf der letzten Party im Indiego Glocksee sein DJ-Set zum Besten. Die meisten Clubs der Stadt haben bereits freiwillig geschlossen.

Matthias aka. Drecka (55)
seit über 30 Jahren festangestellter Geschäftsführer, Booker und DJ im Cafe Glocksee

„Grade das, was wir hier betreiben - Partys und Konzerte - wird es lange, lange Zeit nicht in der Form geben, wie wir es kennen. Beim Frisör sitzen und ‘ne Maske auf haben ist eben etwas anderes als am Tresen zu stehen oder [...] vor der Bühne bei ‘ner Liveband. Da ist einfach diese Nähe wichtiger als bei anderen Sachen. Weil es einfach so‘n bisschen ausleben ist, so ‘n bisschen fallen lassen, bisschen chillen.“

Das "Ihme-Zentrum" gegenüber der beiden Glocksee-Clubs war selten so hell beleuchtet an einem Samstagabend, der zum Rausgehen einlädt. Die meisten Bewohner*innen sind während des ersten Lockdowns zu Hause. / April 2020

Janine (39)
seit drei Jahren Security auf Minijobbasis für Indiego und Cafe Glocksee

„Ich hab‘ mich dazu entschieden noch eine Ausbildung als Fachkraft für Schutz und Sicherheit zu machen, weil ich mich in dem Gewerbe richtig zu Hause fühle. [...] Ich habe maximale Einschränkungen durch zwei Kindergartenkinder, bei denen die Betreuung komplett weg fällt. Und wenn du dann wie ich jetzt in Ausbildung bist, so auf die Schnelle jemanden zu finden für zwei Kinder. Ich konnte froh sein, dass meine Schule zu hatte. [...] Die Arbeit fehlt sehr. In der Glocksee kann man sein, wie man möchte.“

Simon und Ernie nutzen die Zeit und verlegen Kabel für ein neues Lichtkonzept auf dem Glocksee-Hof. Im Cafe Glocksee haben sie den Umbau bereits im vergangenen Monat mit den anderen Technikern hinter sich gebracht. / April 2020

Im gemeinsamen Eingangsbereich der beiden Clubs sind noch immer
die Spuren der vorerst letzten Veranstaltung zu erkennen. / April 2020

Tim (24)
seit drei Jahren festangestellter Finanz-/Personalmanager im Indiego Glocksee

„Ich bin ein bisschen enttäuscht von der Politik. Es ist klar, dass es Institutionen wie Clubs, Theater, etc. am schwersten haben und als letztes wieder auf machen. Die ganzen Fördertöpfe sind sehr knapp bemessen und schnell leer. [...] Wenn man den finanziellen Aspekt ausblendet, nehme ich da aber auch etwas Positives mit: Wir haben einen Live-Stream realisiert, sind technisch gewachsen an der ganzen Sache, lernen alle neue Dinge, für die sonst keine Zeit ist.“

Der Vorstand des UJZ Glocksee e.V. trifft sich nun mit Maske und Abstand an der frischen Luft, statt im Seminarraum. / April 2020

Lorette (28)
seit vier Jahren Barkeeperin auf Minijobbasis im Cafe Glocksee

„Ich liebe das Cafe dafür, dass alle Mitarbeiter hier meine Familie sind und mich aufgefangen haben, als ich damals hier her kam und noch keinen kannte. [...] Mein Job an der Bar fällt natürlich komplett weg. [...] Da ich immer gerne gearbeitet habe und auch privat auf Veranstaltungen war und unter Menschen, bleibt mir weder beruflich, noch privat viel.“

Neuerdings werden wöchentlich zwei Veranstaltungen gestreamt. Lasse hat die dafür nötige Technik zusammengesammelt und sich Wissen angeeignet, um nun Bild, Ton und virtuelle Designelemente live zu verbinden. / Mai 2020

Thomas aka. Krösus (56)
seit 20 Jahren festangestellter Hausmeister des UJZ Glocksee e.V.
seit 10 Jahren Tontechniker und -mischer im Cafe Glocksee

„Dem Haus ist es egal, ob‘s Corona gibt oder nicht. Natürlich muss man sich hier um die kaputten Schlösser kümmern. Das verändert sich ja nicht. [...] Ich muss gestehen, dass ich mit 15 hier her kam und dieses Gebäude in mein Herz geschlossen habe. Die Struktur der absoluten Mitbestimmung finde ich sehr, sehr geil. Gleichzeitig hasse ich es wie die Pest, weil ich natürlich ab und zu irgendwelche Sachen vorhabe und das dann immer ‘n Jahr dauert, bis man das dann mal so machen darf.“

Mit viel Liebe zum Detail bereitet Jakob den Siebdruck für die T-Shirts vor, welche Teil eines Crowdfundings werden. Dieses wird später durch etwa 200 Unterstützer*innen knapp 10.000 Euro zum finanziellen Erhalt der beiden Veranstaltungsorte beisteuern. / Mai 2020

Das Design zeigt eine maskierte Person mit einem Stück Seife in der Hand,
die unter dem Motto "Fight Corona, Support Glocksee" der Krise trotz. / Mai 2020

Lasse S. (22)
seit einem Jahr Auszubildender zum Veranstaltungskaufmann im Indiego Glocksee
seit zweieinhalb Jahren ehrenamtliches Vorstandsmitglied des UJZ Glocksee e.V.

„Ich liebe das Indiego für die Chancen und Erfahrungen, die es mir gibt. Ich habe mir ein neues Feld gesucht. Ich kann jetzt streamen, Video mischen und Kameras einstellen. Ist eigentlich schön, aber ist auch viel Arbeit. [...] Das Gefühl hat sich eigentlich gar nicht viel verändert. Es sind zwar nicht mehr die harten Nächte, ich bin ausgeschlafener und fitter, aber es ist immer noch der gleiche, ähnlich stressige Job, der mir aber sehr viel Spaß macht.“

Für viele Künstler*innen ist es eine völlig neue Erfahrung ohne das Feedback des Publikums auf der Bühne zu stehen. Nach kurzer Eingewöhnung kommen die Emotionen zur Musik dann aber meistens doch. / Mai 2020

Szene aus dem Cafe Glocksee. / Mai 2020

Kalinka (54)
seit 26 Jahren Bakeeperin auf Minijobbasis und DJ im Cafe Glocksee

„Mein Minijob hier ist auf null und ich gehe brav zu meiner anderen Hauptarbeit jeden Tag. [...] Viele Monate konnten wir nicht proben mit der Band, weil der Proberaum zu klein ist. Ich bin Schlagzeugerin, Musik machen hält mein Blut flüssig und das ist grad‘ nicht. Das ist meine Lieblingsbeschäftigung, das zweitliebste ist anderen beim Musik machen zuzugucken. Das gibt‘s ja auch grad‘ nicht live. Ich empfinde das als Belastung.“

Alternative Raumnutzung: Da die Proberäume auf dem
Glocksee-Hof kein Abstandhalten ermöglichen, wird das Cafe Glocksee
kurzerhand zur Probestätte umfunktioniert. Dabei wird auch mal die Akustik
der Toiletten getestet. / August 2020

Das Videobüro, welches sich im Dachstuhl der Glocksee befindet, stellt Kameras zur Verfügung. Schwarzi bietet dazu einen Workshop zur Einführung in Technik, Lichtsetzung und Bildausschnitt an, um die Qualität des Streams zu verbessern. / Juni 2020

Ein Lichtblick zum Ende des Sommers:
Draußen sind nun wieder kleine Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen erlaubt.
Dafür werden auf dem Hof alle Bänke vom alten roten Lack befreit und neu gestrichen. / August 2020

Kai (26)
selbstständiger Musikproduzent
seit einem Jahr Tontechniker und DJ im Indiego Glocksee

„Ich hatte echt viel Zeit zum Musik machen am Anfang. Da ich auch als Live-Performer und DJ selbstständig bin, bin ich natürlich total eingeschränkt in meinem Business und versuche jetzt auf anderen Wegen meine Fühler auszustrecken. Alternativen gibt es an sich keine, außer Live-Streams. Ich finde persönlich, dass man keine Live-Streams machen sollte, die nicht bezahlt sind. Klar braucht man irgendwie Content, aber es ist alles schwierig zur Zeit. Alle verkaufen sich umsonst.“

Freitag, 21. August 2020 – das erste Konzert nach langer Pause.
Die "Peace Development Crew" haucht der Glocksee wieder etwas Leben ein.
Tanzen ist leider nicht möglich, doch um in den Genuss von echter Live-Musik
zu kommen, hält man derzeit gerne die Füße still.

Covered in Silence

Die beiden Veranstaltungsorte "Indiego Glocksee" und "Cafe Glocksee" sind Teil des "Unabhängigen Jugendzentrums Glocksee e.V." und seit vielen Jahrzehnten fest in Hannovers Musikkultur verankert. Die gemeinsamen Wochenendveranstaltungen, welche von Punkrock über verschiedene elektronische Genres bis hin zu Jazz reichten, wurden dabei täglich von bis zu 600 Gästen besucht. Durch die coronabedingte Schließung im März 2020 fielen in beiden Clubs die konzertstärksten Monate aus. Durchschnittlich waren jeweils vier bis fünf Veranstaltungen pro Woche geplant und gebucht. Der Teil der Veranstaltungsbranche, welcher von der Nähe zwischen den Künstler*innen und ihrem Publikum lebt, leidet am stärksten unter der Krise. Ob er sich innerhalb der nächsten Jahre erholen kann, ist noch offen.

Dies ist ein Projektauszug. Insgesamt portraitierte ich knapp 30 Mitarbeiter*innen und interviewte sie zu ihrer Situation.

Hannover, 2020