Stefan Kreger* wächst im niedersächsischen Hoya auf und probiert dort in seiner Jugend unterschiedliche Drogen. Doch irgendwann muss neben Cannabis, Ecstasy und Kokain etwas Stärkeres her. Als er zum ersten Mal Heroin nimmt, weiß er noch nicht, wie schnell die Sunbstanz abhängig macht. "Es fühlt sich zuerst an wie Hunger", erzählt Stefan. Doch die körperlichen Symptome werden schlimmer: Erst heftige Kopf- und Gliederschmerzen, dann Krämpfe, immer wenn der Körper nach mehr verlangt. Mittlerweile hat sich der 35-jährige einem Methadonprogramm unterzogen. Das Medikament soll ihm helfen bald frei von Heroin zu leben, nachdem er nun schon zehn Jahre gegen die Abhängigkeit kämpft.

Bremen, Juni 2017


Nala Mytai* ist 22 Jahre alt. Seit ihrem sechsten Lebensjahr lebt sie in Kinder- und Jugendheimen, weil ihre Mutter sich aufgrund einer schweren Krankheit nicht um sie kümmern kann. Mit Freund*innen raucht Nala damals ihren ersten Joint - zu Anfang nur, weil sie dazugehören will. Schnell findet Nala Gefallen daran, ihre negativen Gedanken zu betäuben. Schon bald konsumiert sie jeden Tag und geht seltener zur Schule. Dass sie damit über lange Zeit eine tiefsitzende Depression unterdrückt, wird ihr erst später klar. Die "STEP Therapieschule" in Hannover unterstützt sie im Sommer 2018 ihren erweiterten Realschulabschuss zu machen. Infolgedessen gibt Nala den Cannabiskonsum gänzlich auf.

Hannover, Mai 2018


Mike Volquards stand kurz vor dem Suizid. Der 56-jährige wollte aus seiner Wohnung im elften Stock springen. Im letzten Moment rief er selbst die Polizei und lies sich mit zwei Promille einliefern. Dass er nicht sprang, verdanke er einer höheren Macht, sagt er heute. Damals hatte der ehemalige Lagerarbeiter mit lang anhaltender Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Immer wieder wurde er abgelehnt und suchte schließlich im Rausch des Alkohols nach Linderung seines Leidens. Zwei Flaschen Wodka am Tag, dazu eine Flasche Cola. „Aber nur für den Geschmack“, sagt Mike. Gut zwei Jahre war er abhängig, dann schafft er nach einer Langzeittherapie den Schritt zurück ins Leben. Jetzt macht Volquards ein Praktikum bei der Bremer Bahnhofsmission.

Bremen, Juni 2017


Katja Pfeiffer* steht vor ihren Freund*innen offen zu ihrer Sucht. Ihrer 10-jährigen Tochter möchte sie es allerdings erst erzählen, wenn sie alt genug dafür ist. Bis zu fünf Joints rauchte die 34-jährige früher pro Tag - zur Belohnung, zur Entspannung oder einfach um den Kopf freizumachen. Manchmal hatte die gelernte Restaurantfachfrau am folgenden Morgen leichte Entzugs-erscheinungen wie Kopfschmerzen oder Schweißausbrüche. Sie integrierte das Gras schnell in ihren Tagesablauf. Irgendwann gehörte es einfach dazu und es war zu viel, weiß sie heute. Rund 20 Jahre war sie abhängig, konsumierte nur während der Schwangerschaft nicht. Als wir sie treffen lebt sie seit einem Dreivierteljahr ohne Cannabis.

Bremen, Juni 2017


Hans-Dieter Karth ist seit fast 50 Jahren alkoholabhängig. Seit er seine Ausbildung zum Bankkaufmann beendet hat, lebt er fast ausschließlich in therapeutischen Einrichtungen, versucht verschiedene Therapien, ist ab und zu sogar für einige Zeit trocken. Doch irgendwann holt ihn das „teuflische Zeug“, wie er es selbst nennt, immer wieder zurück. Derzeit lebt Hans-Dieter zusammen mit 40 Mitbewohner*innen im ländlich gelegenen "Schloss Gestorf", einer Einrichtung zur Wiedereingliederung chronisch abhängiger Menschen. Mit seinen 67 Jahren ist er der Hausälteste und weiß genau, dass sein nächster Rückfall in einem solch fortgeschrittenen Alter sein Todesurteil sein könnte. Also lässt er es nun lieber bleiben, versichert er.

Gestorf, März 2018


Erikas Abhängigkeit beginnt schon als sie noch ein Kind ist. In der Schule wird sie wegen ihres Übergewichts gehänselt. Aber gerade das treibt sie dazu, noch mehr zu essen und Süßigkeiten in ihrem Zimmer zu verstecken. Nur das Essen verschafft ihr für einen kurzen Moment ein Gefühl wohliger Wärme. Als sie erwachsen ist entscheidet sich Erika Mohr für eine Magenverkleinerung. Diese riskante Operation ist für viele Menschen mit Adipositas nach zahlreichen fehlgeschlagenen Diäten die letzte Lösung. Vor der OP wiegt die 51-jährige 180 kg, nun nur noch um die 125. Mittlerweile hat Erika einen Umgang mit ihrer Krankheit gefunden, geht regelmäßig zum Aquajogging und leitet drei Selbsthilfegruppen für Menschen mit Binge-Eating-Störung.

Hannover, April 2018


Unzählige Male wacht Sven Armbrüster ohne Erinnerung an die vorherige Nacht auf. Manchmal löscht er unter Alkoholeinfluss ganze Tage aus seinem Gedächtnis. Sein Leben gerät aus den Fugen: Neue Jobs verliert er schon nach kurzer Zeit. Er häuft Schulden an, um seinen Konsum zu finanzieren und verbringt viel Zeit auf der Straße mit Wohnungslosen Menschen, weil er sich dort verstanden fühlt. Erst der zweite Versuch, durch eine Therapie von der leicht verfügbaren Alltagsdroge loszukommen, gelingt. Heute ist Sven 36 Jahre alt und trockener Alkoholiker. Seine Freund*innen trinken nach dem Fußballtraining ab und zu ein paar Bier, aber Sven hat kein Problem damit. Er weiß, dass er sich gut kontrollieren kann.

Bremen, Juni 2017


Alles begann mit einem harmlosen 10€-Schein, den sie mit einer Freundin verspielte. Doch irgandwann kam sie nicht mehr davon weg. Rieke Hansen* ist glücksspielsüchtig. Sie verspielte innerhalb ihrer sechs aktiven Jahre ihr gesamtes Vermögen bis zur Privatinsolvenz. Einen Klinikaufenthalt und zwei Rehabilitationen verhalfen der Mutter zu einem heute nahezu spielfreien Leben. Außerdem lebt die souveräne Frau seit einigen Jahren polyamor: Sie hat drei Lebensgefährten, mit denen sie jeweils eine offene Beziehung führt. Sie unterstützen Riekes modernen Umgang mit der Liebe vollkommen. Die 59-jährige überwindet ihren Suchtdruck heute meistens, indem sie zum Hörer greift und einen ihrer Partner anruft.

Hannover, Mai 2018

Beherrsche mich, beherrsche dich


Süchtiges Konsumverhalten – eine Gefahr, der heutzutage ausnahmslos jeder ausgesetzt ist.
 Und das Gewohnheitstier Mensch nimmt dieses Angebot dankend an:
 Wir betäuben uns, leugnen die Wirklichkeit und verstecken das, was in unseren Köpfen vorgeht.
 Weil die Verdrängung leichter ist als die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche.

Für den Weser Kurier realisierte ich 2017 ein selbst recherchiertes Projekt zum Thema Abhängigkeit und traf hierfür Menschen mit verschiedenen Suchterkrankungen, die ich teilweise anonym portraitierte. Im Zuge meiner Bachelorarbeit beschäftigte ich mich 2018 nochmals intensiv mit der Thematik und erfuhr durch die ausführlichen Geschichten Betroffener, was es wirklich bedeutet, abhängig zu sein.

*Name geändert